Aus der Geschichte
Nach dem Erlass des Toleranzpatentes im Oktober 1781 durch Kaiser Josef II. wurden in Vöcklabruck und Umgebung 413 evangelische Menschen registriert. Die gemäß Verordnung erforderliche Mindestzahl von 500 Personen wurde somit nicht erreicht und es konnte die angestrebte evangelische Gemeinde vorläufig nicht gegründet werden. Die Situation änderte sich erst, als Kaiser Franz Josef I. am 8. April 1861 das Protestantenpatent erließ, mit dem die Einschränkungen für Evangelische weitestgehend aufgehoben wurden: In Vöcklabruck entstand im Jahr 1870 eine evangelische Gemeinde, die unverzüglich mit der Planung einer eigenen Kirche begann.

Die Chronisten berichten: Der Fabrik- und Mühlenbesitzer Wilhelm Stucki, ein Schweizer, schenkte der Gemeinde ein Grundstück im Ausmaß von einem halben Joch. Davon wurden 428 m² für den Friedhof bestimmt. Sein Grab befindet sich jetzt dort. Auf einem von dem Gemeindemitglied Michael Neudorfer, Gattinger zu Ober-Pilsbach, zur Verfügung gestellten Lehmgrunde wurden 60.000 Stück Ziegel geschlagen und aus dessen Walde an 70 Klafter Stockscheiter, die er gleichfalls der Gemeinde unentgeltlich überließ, zum Brennen derselben ausgerodet. Ferner wurde ein kleiner Steinbruch in Pettighofen erworben, die nötigen Steine gebrochen, Kalk gekauft und gelöscht und ein Brunnen am Bauplatz gegraben. Die Pläne welche 400 fl. kosteten und nach welchen der Bau auf etwa 25.000 fl. veranschlagt war, lieferte Ministerial-Oberingenieur Hermann Wehrenfennig aus Wien.
Der Baubeginn erfolgte am 26. Juni 1872. Dank vieler Eigenleistungen der Gemeindemitglieder wurde die schwierige finanzielle Situation gemeistert. Die Kirche war im Oktober 1874 außen fertig und es konnte am 15. November 1875 die Kirchweihe begangen werden. Das Gebäude lag seinerzeit auf freiem Feld vor der Stadt. Heute ist die Kirche in verbautes Gebiet eingebunden. Es erinnert nur noch die Adresse Feldgasse 16 an die freie Lage von einst.
Baubeschreibung
Der Baukörper erhebt sich über dem Grundriss eines griechischen Kreuzes mit den Abmessungen von 21,8 x 21,8 Meter. Die Außenwände bestehen aus grobem graubraunem Konglomeratgestein. Große dreibahnige Fenster durchbrechen die Giebelfassaden der Kreuzarme, zweibahnige Öffnungen die Seitenwände. Ein breites Gesimsband umgürtet horizontal in sechs Meter Höhe das gesamte Bauwerk. Rundbogenfenster, Rundbogenfriese und eine Rundapsis sind Stilmerkmale, die der Romanik entlehnt wurden. Der Haupteingang im Südosten des Gebäudes wird von einem durch Steinsäulen unterstützten Vorbau überdacht.
Kirchenraum
Im Inneren der Kirche dominiert der 8,5 x 8,5 Meter große und 13 Meter hohe Zentralraum, um den sich die Kreuzarme reihen. In drei Seitenarmen sind ebenerdig und auf den Emporen schlichte Sitzbankreihen angeordnet, die für 500 Kirchenbesucher Platz bieten. Die Altarwand trennt den nordwestliche Kreuzarm mit Rundapsis und Sakristei vom Zentralraum.
Den Innenraum prägt vor allem die reich dekorierte Altarwand mit dem Kanzelaltar. Die Anordnung von Altar und Kanzel in einer vertikalen Liturgieachse ist eine Innovation der frühen Reformationszeit in Deutschland, die als Kanzelaltar in die evangelische Kirchenbaugeschichte eingegangen ist. Die Lösung bietet in Emporenräumen die größte Nähe zu den Kirchenbesuchern. Der Kanzelaltar in Vöcklabruck ist der einzige seiner Art in Oberösterreich.
Im oberen Drittel öffnet sich die Altarwand in drei Arkaden zur Orgelempore. Die Orgelanlage hat in Vöcklabruck raumbeherrschende Wirkung. An ihr ist die Bedeutung der Kirchenmusik im protestantischen Gottesdienst zu erkennen. Die dreibogige Arkade deutet wie vieles in dem Kirchenraum auf die Dreifaltigkeit. Dem Dreiermodul sind auch die Wandgliederungen, der Raster der Kassettendecke, die Felderteilung an den Emporenbrüstungen und der Grundriss mit den drei Kreuzarmen unterworfen.
Der protestantischen Auffassung entsprechend, wurde das Bildprogramm in Vöcklabruck sparsam angelegt. An der durch Putzleisten, Schrift- und Symbolelemente geschmückten Altarwand scheinen nur die Wandbilder der Apostel Petrus und Paulus zu beiden Seiten der Kanzel auf. Sie stammen aus der Entstehungszeit der Kirche und wurden von Josef Wallhamer geschaffen. Das Altarbild mit der biblischen Szene "Jesus mit den Emmaus-Jüngern" ist ein späteres Werk des Vöcklabrucker Malers Otto Lux.
Die Kassettendecke über dem hohen Kirchenraum, ein Meisterwerk des Zimmererhandwerks, besteht aus braun gebeizten Holzbalken und Bretterfeldern, gerahmt von dunkelblauen Dekorleisten. Der Fußboden des Kirchenraumes ist schachbrettartig mit Kunststeinplatten im Diagonalverband belegt.
Die Vöcklabrucker Kirche wird vielfach mit dem Fränkischen Markgrafenstil in Verbindung gebracht. Im 18. Jahrhundert hatte der Markgraf von Ansbach-Bayreuth Carl Friedrich einen bestimmten Kirchenbaustil als verbindlich erklärt. Zu den Merkmalen zählten der Emporenraum und der Kanzelaltar. Hermann Wehrenfennig hat wesentliche Elemente des Markgrafenstils für Vöcklabruck übernommen.
Kirchturm und Glocken
Der Kirchturm auf dem Grundrissquadrat von 4 x 4 Meter bindet in die Nordecke der Kreuzarme ein. Er wechselt in Höhe des Dachfirstes ins Oktogon und schließt mit einem Kranzgesims ab, über dem der achtseitige Spitzhelm hochstrebt. Im Turm führt eine steile Wendeltreppe bis zur Glockenstube. Über die Herkunft des Spindelbaumes wird folgendes berichtet: Matthias Oberndorfer, Pöll in Witzelkirchen, schenkte den schönsten Baum seines Waldes zum Turmbaum, an dem die Wendeltreppe befestigt ist.
Im Jahre 1871 wurde das Deutsche Reich vereint und eine neue Währung eingeführt. Einige Kirchengemeinden in Württemberg, Thüringen und Sachsen begeisterten sich für die Idee, die ungültig gewordenen Münzen zu sammeln und in Glocken umzugießen. Vöcklabruck erhielt 1878 im Zuge dieser Aktion drei Glocken aus Kleinwelka in Sachsen. Zwei Glocken fielen der Zweckentfremdung in den Weltkriegen zum Opfer, die dritte Glocke, die sogenannte „Sachsenglocke“, erklingt heute noch am ursprünglichen Ort.
Horst Schuller / 29.03.2012 Verwendete Literatur
- Karl Eichmeyer: Das Evangelium in Vöcklabruck,100 Jahre Evangelische Kirche, Festschrift, Vöcklabruck 1975
- Karl Schimik: Die Evangelische Gemeinde AB Vöcklabruck von der Reformation bis auf die Gegenwart, Festschrift, Vöcklabruck 1895
- Horst Schuller: Evangelische Kirchen des 19. Jahrhunderts in Oberösterreich und der Architekt Hermann Wehrenfennig, Vöcklabruck 2011